Haiku? Senryu? Tanka? Wahrscheinlich sind alle westlichen Versuche mit
japanischen Formen so etwas wie “Etikettenschwindel” (Uli Becker). Wenn
sie versuchen, japanisch zu sein, so sind sie fast immer derart banal
und langweilig, dass es ein Graus ist. Warum also nicht gleich westlich-unkonventionell?
(Schließlich waren die Epigramme der späten 60er auch keine Epigramme
im klassischen Sinn.) Warum aber dann auf dieser Silben- und Erbsenzählerei
überhaupt bestehen? Weil sie diszipliniert. Und das kann ja bei all
der Geschwätzigkeit nicht schaden.
“Siebzehner”
finden sich da und dort verstreut in diversen meiner Gedichtbände.
Ein gebündelter längerer Teil zum Beispiel im ZUNGENSALAT (wo sich
unter dem Kapitel “Haiku-Mix” 40 solcher Dinger lesen lassen). Vielleicht
darf ich daraus einen Siebzehner vorstellen, der eine uralte und leider
immer wieder aktuelle Geschichte erzählt und formal angereichert ist
mit acht Alliterationen, drei männlichen Endreimen und durchgehenden
Trochäen:
DORFGESCHICHTE
Weibsstück,
Wangen rot,
schwanger,Schande,
schwere Not,
Trachtler,
Tümler, Tod.
Meine
Begeisterung für Siebzehner habe ich ausgelebt in dem Band ZÜNDSILBEN,
zu dem Ugo Dossi mit jeweils 17 Streichhölzern Bilder ausgelegt und
fotografiert hat. Auch hier gab es keine Haiku im klassischen Sinn,
denn schon durch die Titelgebung wurden die üblichen zwei Bereiche
um eine weitere Gegenüberstellung bzw. Überlagerung erweitert. Reizvoll
erschien mir neben dem Tonfall der verhaltenen Emotion und dem Bild-
bzw. Gedankensprung auf engstem Raum die Kategorie des Augenblicks,
der paradiesische Ort, die Auslöschung/Befreiung von Raum und Zeit
im intensiven Moment.
Ein immerwährender Jahreskalender mit Tankas von mir und Fotos von Angelika Holweger (unter dem Titel JAHREINWÄRTS) entstand 2018 (siehe BIBLIOPHILES )
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